Die Urteile XI ZR 61/23, XI ZR 65/23, XI ZR 161/23 und XI ZR 183/23 sind noch nicht veröffentlicht. Aus der Pressemeldung des BGH kann man Folgendes zusammenfassen:
I. Zu Verwahrentgelten bei Girokonten (XI ZR 61/23, XI ZR 65/23 und XI ZR 161/23)
Streitgegenständlich waren folgende Klauseln:
Sparkasse (XI ZR 61/23):
Verzinsung
Zinssatz für Guthaben (täglich fällige Gelder) 0,00 %
Verwahrentgelt für Guthaben ab 5.000,01 € (Freibetrag 5.000 €)*- 0,70 % p.a.
*Das Verwahrentgelt auf allen Privatgirokonten, die ab dem 01.02.2020 neu eröffnet werden, beträgt ab einer Einlagenhöhe von 5.000,01 € 0,70 % p.a. (Freibetrag 5.000,00 €). Die gleiche Regelung gilt für Kontomodellwechsel ab dem 01.02.2020
Weitere Bank (XI ZR 65/23):
Privatkonten
[…]
Entgelt für die Verwahrung von
Einlagen über 10.000 EURpro Jahr 0,50 % p.a.
Freibetrag¹4
¹4 Vom Kunden zu zahlendes Verwahrentgelt bei Neuanlage/Neuvereinbarung ab 01.04.2020 für Einlagen über 10.000 EUR Freibetrag auf das auf dem Konto verwahrte Guthaben, das den aktuellen Freibetrag übersteigt.
Weitere Bank (XI ZR 161/23):
3.2Entgelt für die Verwahrung von Einlagen
Girokonten […] – Verträge ab 01.08.2020¹6
Einlagen bis25.000,00 EUR0,00 % p.a.
Einlagen über¹725.000,00 EUR0,50 % p.a.
[…]
Die Berechnung erfolgt taggenau. Die Belastung der Gebühr erfolgt monatlich nachträglich zulasten des jeweiligen Kontos.
[…]
¹6 Für Verträge mit Abschlussdatum vor dem 01.08.2020 erfolgt die Bepreisung ab Unterzeichnung der individuellen Zusatzvereinbarung.
¹7 Bepreisung erfolgt auf den übersteigenden Betrag
Der BGH hat entschieden, dass diese Klauseln wegen Intransparenz AGB-rechtlich unwirksam sind.
Die in Giroverträgen vereinbarten Klauseln über Verwahrentgelte unterliegen zwar keiner AGB-rechtlichen Inhaltskontrolle, da mit dem Verwahrentgelt eine Hauptleistung bepreist wird. Die Verwahrung von Guthaben auf Girokonten stellt neben der Erbringung von Zahlungsdiensten eine den Girovertrag prägende Leistung und damit eine Hauptleistung aus dem Girovertrag dar. Aus den Regelungen der § 700 I 1 i.V.m. § 488 I 2 BGB folgt grundsätzlich nicht, dass ein Verwahrentgelt als Gegenleistung nicht erhoben werden könnte.
Die Klauseln verstoßen aber gegen das sich gemäß § 307 III 2 BGB auch auf das Hauptleistungsversprechen erstreckende Transparenzgebot des § 307 I 2 BGB und sind damit gegenüber Verbrauchern unwirksam. Sie sind hinsichtlich der Höhe des Verwahrentgelts nicht bestimmt genug, so dass Verbraucher ihre mit den Klauseln verbundenen wirtschaftlichen Belastungen nicht hinreichend erkennen können. Die Klauseln informieren nicht hinreichend genau darüber, auf welches Guthaben sich das Verwahrentgelt bezieht. Die auf Girokonten bestehenden Guthaben können sich infolge der Verbuchung von Gutschriften und Belastungen innerhalb eines Tages mehrfach ändern. Die in den Klauseln verwendeten Formulierungen lassen allerdings offen, welcher konkrete Guthabenstand auf den Girokonten für die Berechnung des Verwahrentgelts jeweils maßgebend sein soll. Unklar ist dabei vor allem, ob die Berechnung des Verwahrentgelts taggenau erfolgen soll und bis zu welchem Zeitpunkt Tagesumsätze auf den Girokonten bei der Berechnung des maßgebenden Guthabensaldos berücksichtigt werden sollen.
II. Zu Verwahrentgelten bei Tagesgeldkonten und Spareinlagen (XI ZR 161/23 und XI ZR 183/23)
Streitgegenständlich waren folgende Klauseln:
Bank 1 (XI ZR 161/23):
SpardaCash – Verträge ab 01.08.2020¹6
Ein SpardaCash¹8
Einlagen bis50.000,00 EUR0,00 % p.a.
Einlagen über¹7 50.000,00 EUR0,50 % p.a.
Jedes weitere SpardaCash¹8
Einlagen über¹7 0,00 EUR0,50 % p.a.
SpardaCash Online – Verträge ab 01.08.2020¹6
Ein SpardaCash Online¹8
Einlagen bis50.000,00 EUR0,00 % p.a.
Einlagen über¹7 50.000,00 EUR0,50 % p.a.
Jedes weitere SpardaCash Online¹8
Einlagen über¹7 0,00 EUR0,50 % p.a.
Die Berechnung erfolgt taggenau. Die Belastung der Gebühr erfolgt monatlich nachträglich zulasten des jeweiligen Kontos.
[…]
¹6 Für Verträge mit Abschlussdatum vor dem 01.08.2020 erfolgt die Bepreisung ab Unterzeichnung der individuellen Zusatzvereinbarung.
¹7 Bepreisung erfolgt auf den übersteigenden Betrag.
¹8 Erstes bestehendes Konto gemäß Eröffnungsdatum je Kundenstamm; bei gleichem Eröffnungsdatum ist die niedrigere Kontonummer entscheidend
Bank 2 (XI ZR 183/23):
Verwahrung von Einlagen oberhalb des Freibetrags für alle Einlagen- & Girokonten
Verwahrentgelt 0,5 % p.a.
Verwahrentgelt für die Verwahrung von Einlagen auf allen
Einlagen- & Girokonten
– für ab dem 01.07.2020 bis einschließlich 30.09.2020
neu eingerichtete Kundennummern oberhalb
Freibetrag von 250.000,00 €
0,5 % p.a.
– für ab dem 01.10.2020 bis einschließlich 09.05.2021
neu eingerichtete Kundennummern oberhalb Freibetrag
von 100.000,00 €
0,5 % p.a.
– für ab dem 10.05.2021 neu eingerichtete Kunden-
nummern oberhalb Freibetrag von 50.000,00 €
0,5 % p.a
Bank 2 schloss mit Bestandskunden folgende Vereinbarung (XI ZR 183/23):
1. Die [Bank] erhebt ab dem […] für die auf Euro lautenden Einlagen (inklusive Spareinlagen) auf den Konten des Kunden, die unter seiner Kundennummer […] gegenwärtig und zukünftig geführt werden (im folgenden „Kundenkonten“) ein monatliches Guthabenentgelt.
[…]
3. […] Dieser Kostensatz entspricht dem von der Europäischen Zentralbank (EZB) für die Einlagenfazilität im jeweiligen Berechnungsmonat festgelegten Zinssatz (aktuell 0,50 % p.a.).
Der BGH hat entscheiden, dass Negativzinsen auf Spareinlagen den Verwender unangemessen benachteiligen, da diese dem Zweck einer Spareinlage widersprechen.
Die Klauseln über Verwahrentgelte für Einlagen auf Tagesgeldkonten und für Spareinlagen unterliegen einer AGB-rechtlichen Inhaltskontrolle, weil sie die von der Bank geschuldete Hauptleistung abweichend von der nach Treu und Glauben geschuldeten Leistung verändern.
Sie halten der Inhaltskontrolle nicht stand, weil sie von wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung abweichen und die Verbraucher entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen (§ 307 I 1, II Nr. 1 BGB). Einlagen auf Tagesgeldkonten und Sparkonten dienen nicht nur der sicheren Verwahrung von Geldern, sondern darüber hinaus auch Anlage- und Sparzwecken. Gelder auf Tagesgeldkonten werden in der Regel in Höhe der Marktzinsen am Geldmarkt variabel verzinst. Mit der Erhebung eines laufzeitabhängigen Verwahrentgelts verlieren die Tagesgeldkonten allerdings gänzlich ihren Spar- und Anlagezweck. Denn bei einer gleichzeitigen Verzinsung der Einlage mit 0,001% p.a. reduziert sich das auf den Tagesgeldkonten eingelegte Kapital täglich, bis die Einlage den in den Klauseln genannten Freibetrag erreicht. Hierdurch wird der Charakter des Vertrags über ein Tagesgeldkonto nach Treu und Glauben verändert. Diese Abweichung stellt eine unangemessene Benachteiligung der Verbraucher dar. Soweit Kreditinstitute im Euroraum im Zeitraum vom 11. Juni 2014 bis 26. Juli 2022 auf bestimmte Einlagen, die sie bei ihrer nationalen Zentralbank unterhielten, „negative Zinsen“ zu zahlen hatten, rechtfertigt dies nicht, die vertraglich berechtigten Erwartungen von Verbrauchern, ihre auf Tagesgeld- und auf Sparkonten verbuchten Einlagen mindestens zu erhalten, durch die Einführung eines Verwahr- oder Guthabenentgelts zu enttäuschen, das die Einlage bis zu einem Freibetrag fortlaufend reduziert.
III. Zum Entgelt für die Ausstellung einer Ersatz-BankCard bzw. einer Ersatz-PIN (XI ZR 161/23)
Streitgegenständlich war folgende Klausel:
4.4Kartengestützter Zahlungsverkehr
4.4.1Debitkarten
4.4.1.1BankCard
[…]
– Ersatzkarte²8 12,00 EUR
– Ersatz-PIN²8 auf Wunsch des Kunden 5,00 EUR
[…]
²8 Wird nur berechnet, wenn der Kunde die Umstände, die zum Ersatz der Karte/PIN geführt haben, zu vertreten hat und die Bank nicht zur Ausstellung einer Ersatzkarte/Ersatz-PIN verpflichtet ist.
Der BGH hat entschieden, dass diese Klausel wegen Intransparenz AGB-rechtlich unwirksam ist.
Klauseln zu einem Entgelt für die Ausstellung einer Ersatz-BankCard bzw. einer Ersatz-PIN sind unwirksam sind, da sie gegen das Transparenzgebot nach § 307 I 2 BGB verstoßen. Der Verbraucher kann nicht hinreichend erkennen, in welchen Fällen die Beklagte zur Ausstellung einer Ersatzkarte bzw. einer Ersatz-PIN verpflichtet ist, und damit nicht, ob er das Entgelt tatsächlich zahlen muss. Der durchschnittliche, rechtlich nicht gebildete, verständige Verbraucher erkennt zwar, dass er nach den Klauseln nur dann zur Zahlung verpflichtet sein soll, wenn weder eine gesetzliche noch eine vertragliche Verpflichtung der Bank zur Ausstellung einer Ersatzkarte bzw. einer Ersatz-PIN besteht. In den Klauseln fehlt aber jegliche Konkretisierung, wann eine solche Verpflichtung der Bank besteht. Ausführungen über die typischen Fälle, in denen der Verbraucher eine Ersatzkarte bzw. eine Ersatz-PIN benötigt (Verlust, Diebstahl und Missbrauch), enthalten die Klauseln nicht. Die Entgeltklauseln versetzen den Verbraucher damit nicht in die Lage, die Reichweite der beabsichtigten Entgeltpflicht in seinem praktischen Geltungsbereich zu bestimmen.
IV. Rechtsfolgen der Entscheidungen
Nicht zu entscheiden hatte der BGH über die Folgen der Unwirksamkeit vorgenannter Klauseln.
1.
Es steht jedoch fest, dass viele Kunden aufgrund unwirksamer Klauseln Entgelte an ihre Banken bezahlt haben. Damit steht ihnen ein Anspruch auf Rückzahlung dieser rechtsgrundlos bezahlten Entgelte aus § 812 I 1 Alt. 1 BGB zu.
2.
Da die meisten dieser Entgelte vor dem Zinsanstieg im Jahr 2023 gezahlt wurden, stellt sich für Entgelte vor dem Jahr 2022 die Frage der Verjährung.
a.
Der Anspruch verjährt in der dreijährigen Regelverjährungsfrist, §§ 195, 199 BGB. Diese beginnt am Ende des Jahres, in dem der Rückzahlungsanspruch entstanden ist und der Gläubiger Kenntnis von den anspruchsbegründenden Umständen erlangt bzw. hätte erlangen müssen, § 199 I BGB.
b.
Der Rückzahlungsanspruch entsteht grundsätzlich mit der Zahlung des Entgelts.
c.
Die anspruchsbegründenden Tatsachen sind streng genommen ebenfalls im Zeitpunkt der Zahlung des Entgelts bereits bekannt. Es ist allerdings umstritten, ob in Fällen unklarer Rechtslage auf den Zeitpunkt der Kenntnis bzw. des Kennenmüssens der höchstrichterlichen Entscheidung abzustellen ist. Grundsätzlich hindern Rechtsirrtümer den Verjährungsbeginn nicht (BGH NJW 1996, 117; BGH NJW 2007, 830). Zumindest bei besonderes unübersichtlichen und verwickelten Rechtslagen geht die Rspr. aber davon aus, dass erhebliche rechtliche Zweifel den Verjährungsbeginn bis zur Klärung ausschließen (BGH NJW 19999, 2041; BGH NJW 2009, 984). Ob ein solcher Fall hier vorliegt, ist aber ungeklärt.
3. Damit stehen den Kunden jedenfalls Rückzahlungsansprüche für die ab 2022 gezahlten Entgelte zu. Ob sie auch die davor bezahlten Entgelte zurückerhalten können, ist ungeklärt.
